Wagner, Tannhäuser Oper Frankfurt
Dass Opern auf der Bühne im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte nicht mehr in der Inszenierung der Uraufführung gezeigt werden, ist inzwischen durchaus üblich. Mal versetzt sie das Regieteam in die Jetztzeit, mal ergänzt es die Handlung multimedial. Beim Außenseiter Richard Wagner, der einige seiner Opern für sein Bayreuther Festspielhaus konzipierte, wie bei einigen seiner Anhänger, kommen solche zeitlichen Verlagerungen und Neudeklarationen nicht immer gut an. Bei der Premiere der neuen Tannhäuser-Inszenierung durch den Südafrikaner Matthew Wild kam es allerdings nur zu wenigen Bekundungen des Missfallens. Das ist sicherlich auch der im neuen Jahrtausend veränderten Einstellung gegenüber der LGBTQ-Community zu verdanken, die in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist und Spitzenpositionen in Kultur, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft einnimmt, ohne sich verbiegen und verstecken zu müssen. |
Mehr und mehr verzweifelt beschließt er eine Auszeit, um sich an ein neues Werk zu machen und durchlebt in einem anonymen Hotelzimmer ein orgiastisches Bacchanal. Nach Wagners Vorstellungen und der zugrunde liegenden Ballade spielt es im Inneren des Venusbergs. Dort hält Frau Venus, umgeben von Nymphen und Nixen, luxuriös Hof. In der Frankfurter Inszenierung verkörpert diese mit einem Totenschädel Dshamilja Kaiser, die Heinrich trickreich umgarnt. Normalerweise sollte ihre Schönheit ausreichen, die Männer in die Venusfalle zu locken, doch bei Heinrich verfängt es nicht. Gekonnt bedient sie sich der Mithilfe junger Männer, was den fast pädophilen Obsessionen Tannhäuser-Heinrichs entgegenkommt. |
Tannhäuser
(c) Barbara Aumüller
Musikalisch befürchtete ich nach der Ouvertüre ein langsames und zögerliches Bacchanal, doch durch den guten Einfall der Regie und den das Orchester klug führenden neuen Generalmusikdirektor Thomas Guggeis, entwickelte es sich zu einem energiegeladenen und ausgesprochen glaubwürdigen Auftakt zur Oper, die Tannhäuser im weitere Verlauf überzeugend als verkappten Homosexuellen zeigt, der bei der zu schnell zugesagten Weiterarbeit an der Universität erkennen muss, dass seine Vorstellungen des Lebens (noch) nicht von der akademischen Welt geteilt werden. Nach einem Disput mit den sangeskundigen Kollegen Walther von der Vogelweide, Wolfram von Eschenbach & Co. über das Wesen der Liebe, begegnet ihm im Hörsaal erneut sein Tadzio-Traum, den er begierig küsst. Landgraf Hermann, der in der Inszenierung den Dekan der Universität spielt, das Kollegium und der Rest des homophoben akademischen Mobs wollen das nicht akzeptieren und würden ihn dafür am liebsten töten. Doch Elisabeth, deren Mentor er einst war, stellt sich hinter ihn und billigt ihm die Chance auf Vergebung zu - durch eine Wallfahrt nach Rom. Hier wird es schwierig, der Idee Wilds zu folgen, denn warum sollte ausgerechnet Heinrich zum Papst nach Rom pilgern? Und doch - es ist ein auferlegter Zwang, wie er in den USA in der etwas früher liegenden McCarthy-Ära durchaus üblich war. Auf Wilds Haltung zur katholischen Führung, die noch vor gut 50 Jahren die Homosexualität offiziell verurteilte, lassen die in Szenen und Doku-Projektionen aus Rom eingestreuten Bilder keinen Zweifel. |
Wild hingegen führt während der Pilgergesänge am Ende des dritten Aufzugs Elisabeths Leben in Bildprojektionen weiter. Zwar ist Heinrich durch Selbstmord ausgeschieden, aber ihr Leben geht weiter. Sie nimmt sich seines Werkes an, schreibt über die Tragik seines Lebens und wird so selbst zur erfolgreichen Autorin, denn inzwischen ist LGBTQ auch in den Hochschulen der USA angekommen. |
Tannhäuser
(c) Barbara Aumüller
Von den Solisten konnten nicht alle das Publikum mitreißen, aber Schwächen gab es keine.. In der ausgesprochen anspruchsvollen Titelpartie, die in allen drei Aufzügen vollen Einsatz fordert, debütierte Marco Jentzsch an der Frankfurter Oper. Bisher hatten ihn seine Verpflichtungen schon mit großen Wagner-Partien nach Wiesbaden, Köln, Berlin, Amsterdam und Mailand geführt. Stimmlich brauchte er etwas Zeit, um in die Rolle hineinzukommen, konnte sich aber ab dem zweiten Aufzug immer besser in seiner ganzen Zerrissenheit präsentieren und dies auch stimmlich herüberbringen. Sehr überzeugend war Ensemblemitglied Andreas Bauer Kanabas als wunderbar kraftvoller und sonorer Landgraf Hermann und das junge Ensemblemitglied Magnus Dietrich als Walther von der Vogelweide, der kräftig und klangschön viele spannende Rollen erwarten lässt. Dshamilja Kaiser als Venus konnte mit ihrem warmen und nicht überspannten Timbre voll und ganz überzeugen. Überhaupt waren die Frauen der Aufführung beeindruckend, angefangen mit der Venus über Karolina Bengtson als junger Hirt bis hin zur jugendlichen und klangschönen Elisabeth, der Christina Nilson ihre Stimme lieh und dafür vom Publikum mit Ovationen belohnt wurde. Sie hatte in Frankfurt erstmals 2018 die Titelpartie der Ariadne auf Naxos verkörpert. Auch der mild und verhalten agierenden Slowene Domen Križaj als Wolfgang, der dem Ensemble seit 2020/21 angehört, lieferte eine ordentliche Leistung.
Premiere war am 28. April 2024, weitere Vorstellungen finden am 1., 5. um 15.30 Uhr, am 11., 20. und 30. Mai jeweils um 17 Uhr und am 2. Juni 2024 erneut um 15.30 Uhr statt. Leider sind die Karten für einige der Vorführungen bereits ausverkauft und man muss bei Interesse auf Rückgaben hoffen.
Update! Wegen des großen Erfolgs hat die Oper Frankfurt am 16. Mai um 18 Uhr statt der geplanten Elektra eine Zusatzaufführung des Tannhäusers ins Programm genommen.
Tannhäuser
(c) Barbara Aumüller
(c) Magazin Frankfurt, 2024