Wagner, Tannhäuser Oper Frankfurt

Tannhäuser

(c) Barbara Aumüller

Dass Opern auf der Bühne im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte nicht mehr in der Inszenierung der Uraufführung gezeigt werden, ist inzwischen durchaus üblich. Mal versetzt sie das Regieteam in die Jetztzeit, mal ergänzt es die Handlung multimedial. Beim Außenseiter Richard Wagner, der einige seiner Opern für sein Bayreuther Festspielhaus konzipierte, wie bei einigen seiner Anhänger, kommen solche zeitlichen Verlagerungen und Neudeklarationen nicht immer gut an. Bei der Premiere der neuen Tannhäuser-Inszenierung durch den Südafrikaner Matthew Wild kam es allerdings nur zu wenigen Bekundungen des Missfallens. Das ist sicherlich auch der im neuen Jahrtausend veränderten Einstellung gegenüber der LGBTQ-Community zu verdanken, die in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist und Spitzenpositionen in Kultur, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft einnimmt, ohne sich verbiegen und verstecken zu müssen.

Wilds Neuinterpretation der fünften Oper Richard Wagners bediente sich zwar der Musik und der Texte Wagners, überführte sie aber örtlich und zeitlich von der Gegegn um Eisenach des Mittelalters an eine katholische Universität in Kalifornien der frühen 1960er Jahre. Dies wird den Zuschauern schon bei der Ouvertüre durch Projektionen klargemacht. Statt Tannhäuser ist Heinrich von Ofterdingen der Star unter den Professoren- Unglaublich beliebt - vor allem bei den weiblichen Studentinnen - nachdem er aus Deutschland vor den Nazis emigrierte und mit seinem Roman „Montsalvat“ (der Gral lässt grüßen) den Pulitzer-Preis gewann. Sein Problem in den USA der frühen 1960er Jahre: die herrschende Prüderie, die es ihm schwer macht, seine Homosexualität offen auszuleben ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Da hilft ihm auch sein Ruf als Autor nur wenig.

Mehr und mehr verzweifelt beschließt er eine Auszeit, um sich an ein neues Werk zu machen und durchlebt in einem anonymen Hotelzimmer ein orgiastisches Bacchanal. Nach Wagners Vorstellungen und der zugrunde liegenden Ballade spielt es im Inneren des Venusbergs. Dort hält Frau Venus, umgeben von Nymphen und Nixen, luxuriös Hof. In der Frankfurter Inszenierung verkörpert diese mit einem Totenschädel Dshamilja Kaiser, die Heinrich trickreich umgarnt. Normalerweise sollte ihre Schönheit ausreichen, die Männer in die Venusfalle zu locken, doch bei Heinrich verfängt es nicht. Gekonnt bedient sie sich der Mithilfe junger Männer, was den fast pädophilen Obsessionen Tannhäuser-Heinrichs entgegenkommt.

Matthew Wild nutzt die große Bühne und verdreifach die Szenerie, indem in Kopien des Zimmers links und rechts Tänzer die Phantasien Heinrichs ausleben, die sich erkennbar an Tadzio aus Viscontis Verfilmung von Manns Tod in Venedig und Caravaggios Darstellung des Amor orientieren, in denen Autor, Filmregisseur und Maler ihre eigenen homoerotischen Träume Weltkultur werden lassen. Doch alles Verlocken hilft Venus auf Dauer nicht. Tannhäuser ist zunehmend des opulenten Genusses überdrüssig und fordert seine Rückkehr in die Realität. „Mein Heil ruht auf Maria!“ sind die letzten Worte, die ihn aus den Venusberg-Hotel zurück in die alte Umgebung katapultieren, wo er - statt gleich mit den Pilgern nach Rom zu ziehen - sich vom den Professorenkollegen zurück in den Hörsaal ziehen lässt.

Tannhäuser

(c) Barbara Aumüller

Musikalisch befürchtete ich nach der Ouvertüre ein langsames und zögerliches Bacchanal, doch durch den guten Einfall der Regie und den das Orchester klug führenden neuen Generalmusikdirektor Thomas Guggeis, entwickelte es sich zu einem energiegeladenen und ausgesprochen glaubwürdigen Auftakt zur Oper, die Tannhäuser im weitere Verlauf überzeugend als verkappten Homosexuellen zeigt, der bei der zu schnell zugesagten Weiterarbeit an der Universität erkennen muss, dass seine Vorstellungen des Lebens (noch) nicht von der akademischen Welt geteilt werden. Nach einem Disput mit den sangeskundigen Kollegen Walther von der Vogelweide, Wolfram von Eschenbach & Co. über das Wesen der Liebe, begegnet ihm im Hörsaal erneut sein Tadzio-Traum, den er begierig küsst. Landgraf Hermann, der in der Inszenierung den Dekan der Universität spielt, das Kollegium und der Rest des homophoben akademischen Mobs wollen das nicht akzeptieren und würden ihn dafür am liebsten töten. Doch Elisabeth, deren Mentor er einst war, stellt sich hinter ihn und billigt ihm die Chance auf Vergebung zu - durch eine Wallfahrt nach Rom. Hier wird es schwierig, der Idee Wilds zu folgen, denn warum sollte ausgerechnet Heinrich zum Papst nach Rom pilgern? Und doch - es ist ein auferlegter Zwang, wie er in den USA in der etwas früher liegenden McCarthy-Ära durchaus üblich war. Auf Wilds Haltung zur katholischen Führung, die noch vor gut 50 Jahren die Homosexualität offiziell verurteilte, lassen die in Szenen und Doku-Projektionen aus Rom eingestreuten Bilder keinen Zweifel.

Doch – Wagners Text ist unabänderbar – Heinrich reist nach Rom. Elisabeth wartet sehsüchtig wie vergeblich auf seine geläuterte Rückkehr. Als sie dann noch der verliebte Wolfram in der Absicht, ihr Trost zu spenden, sexuell bedrängt, gibt sie die Warterei auf. Im Tannhäuser Wagner steht sie darauf als Engel vor Gottes Thron, um beim Chef selbst um die Vergebung seiner Sünden zu bitten.

Wild hingegen führt während der Pilgergesänge am Ende des dritten Aufzugs Elisabeths Leben in Bildprojektionen weiter. Zwar ist Heinrich durch Selbstmord ausgeschieden, aber ihr Leben geht weiter. Sie nimmt sich seines Werkes an, schreibt über die Tragik seines Lebens und wird so selbst zur erfolgreichen Autorin, denn inzwischen ist LGBTQ auch in den Hochschulen der USA angekommen.

Wagner hat für den Tannhäuser, der ein wichtiger Meilenstein seiner Entwicklung wurde, die früher verwendete Nummerneinteilung zugunsten einer stärker durchkomponierten, mit der Dichtung verschmolzenen Szenenform aufgegeben. Der neuen Frankfurter Inszenierung liegt die Wiener Fassung von 1875 zugrunde, die Änderungen der Pariser Version von 1861 aufgreift und das Bacchanal zufügt.

In der Neuinszenierung präsentiert sich Frankfurts neuer Generalmusikdirektor Thomas Guggeis in guter Form und leitet das Orchester, einfühlsam die Solisten begleitend, sehr präzise durch die Aufführung. Die Frankfurter dürfen sich auf spannende neue Erfahrungen mit ihm freuen. Am Ende der Aufführung steht er mit allen Musikern, dem Chor und Extrachor, dem Regieteam, den Solisten, Tänzern und Statisten auf der Bühne, die ich noch nue so besiedelt erlebt habe. Ausgezeichnet der Chor und der Extrachor, der von Tilmann Michael erstklassig eingesetzt wurde und klar macht, warum er auch letztes Jahr wieder zum Opernchor des Jahres ausgezeichnet wurde.

Tannhäuser

(c) Barbara Aumüller

Von den Solisten konnten nicht alle das Publikum mitreißen, aber Schwächen gab es keine.. In der ausgesprochen anspruchsvollen Titelpartie, die in allen drei Aufzügen vollen Einsatz fordert, debütierte Marco Jentzsch an der Frankfurter Oper. Bisher hatten ihn seine Verpflichtungen schon mit großen Wagner-Partien nach Wiesbaden, Köln, Berlin, Amsterdam und Mailand geführt. Stimmlich brauchte er etwas Zeit, um in die Rolle hineinzukommen, konnte sich aber ab dem zweiten Aufzug immer besser in seiner ganzen Zerrissenheit präsentieren und dies auch stimmlich herüberbringen. Sehr überzeugend war Ensemblemitglied Andreas Bauer Kanabas als wunderbar kraftvoller und sonorer Landgraf Hermann und das junge Ensemblemitglied Magnus Dietrich als Walther von der Vogelweide, der kräftig und klangschön viele spannende Rollen erwarten lässt. Dshamilja Kaiser als Venus konnte mit ihrem warmen und nicht überspannten Timbre voll und ganz überzeugen. Überhaupt waren die Frauen der Aufführung beeindruckend, angefangen mit der Venus über Karolina Bengtson als junger Hirt bis hin zur jugendlichen und klangschönen Elisabeth, der Christina Nilson ihre Stimme lieh und dafür vom Publikum mit Ovationen belohnt wurde. Sie hatte in Frankfurt erstmals 2018 die Titelpartie der Ariadne auf Naxos verkörpert. Auch der mild und verhalten agierenden Slowene Domen Križaj als Wolfgang, der dem Ensemble seit 2020/21 angehört, lieferte eine ordentliche Leistung.

Premiere war am 28. April 2024, weitere Vorstellungen finden am 1., 5. um 15.30 Uhr, am 11., 20. und 30. Mai jeweils um 17 Uhr und am 2. Juni 2024 erneut um 15.30 Uhr statt. Leider sind die Karten für einige der Vorführungen bereits ausverkauft und man muss bei Interesse auf Rückgaben hoffen.

Update! Wegen des großen Erfolgs hat die Oper Frankfurt am 16. Mai um 18 Uhr statt der geplanten Elektra eine Zusatzaufführung des Tannhäusers ins Programm genommen.

Tannhäuser

(c) Barbara Aumüller

(c) Magazin Frankfurt, 2024